Bergspaziergang mit Reinhold Messner
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Am Berg mit … Reinhold Messner

Der Südtiroler Extrembergsteiger hat alle 14 Achttausender der Erde erklommen, glühende und eisige Wüsten durchquert, sogar fünf Jahre im EU-Parlament überlebt. Das womöglich größte Abenteuer steht ihm aber noch bevor.

Ein sonniger Spätsommervormittag im Vinschgau, Südtirol. Kurz vor dem verabredeten Bergspaziergang kommt uns Reinhold Messner schon von Schloss Juval aus entgegen, das sein Sommerwohnsitz ist – und eines der sechs „Messner Mountain Museums“. Unterm Arm trägt er ein paar Dinge für einen Filmdreh, zu dem er direkt nach dem Spaziergang fahren wird. Die müssen noch geschwind ins Auto. Das Filmemachen, sagt Messner, sei sein „siebtes Leben“, denn auf so viele verschiedene Lebensentwürfe könne er zurückblicken. Sieben Leben also. Wie eine Katze – eine Bergkatze, in Messners Fall. Es ist jedenfalls ein Bild, das passt: Er ist dem Tod einige Male von der Schippe gesprungen. Nun, mit 75 Jahren, lässt er es etwas ruhiger angehen. Heute steht nur eine kleine Wanderung an.

natur: Wohin gehen wir?
Messner: A bissel Richtung Schnalstal, dann unten herum und den Rittersteig aufi. Zuerst einmal durch diesen Wald.

Ein paar Minuten, dann gehen wir an einem Graben entlang, in dem kristallklares Wasser an uns vorbeiplätschert.

Das ist ein Waal. Ein Bewässerungskanal, in dem Gletscherwasser zu uns ins Tal heruntergeleitet wird. Diese Waale gibt es überall im Vinschgau, seit 600 Jahren. Ohne die könnten wir hier nicht leben. Viel zu trocken. Das hier war einer der beliebtesten Wanderwege in der Gegend. Aber da hinten, schauen Sie! Da geht es nicht mehr weiter. Da ist eine Mure runtergekommen. Weil der Permafrost taut.
Seit wann?
Seit zehn Jahren bricht es überall weg. Der Boden dort oben war voller Eis, seit der letzten Eiszeit. Dieser ganze Hang wird irgendwann runterkommen.
Der Permafrostboden taut. Die Gletscher schmelzen.
Sie sehen, ich brauche nur aus dem Haus zu gehen, und dann springen mich die Probleme, die wir in der Welt haben, an.
Klimawandel vor der Haustür. Wobei Sie, mit Ihrem Abenteurerleben, ja selbst einen ziemlich abenteuerlichen CO2-Fußabdruck haben.
Mir gehören ein paar Hektar dieses Waldes. Da kann ich so viel fliegen, wie ich will … Das sag ich jetzt mit Zynismus. Es stimmt zwar, dass der Wald CO2 schluckt. Aber mir ist klar, dass wieder CO2 in die Luft kommt, wenn ich fliege. Und ich fliege viel. Notgedrungen. Meine kleine Tochter fliegt nimmer.
Wie alt ist sie?
17 Jahre. Ich find gut, dass sie sich Gedanken macht.
Glauben Sie, die Generation Ihrer Tochter kann mit ihren Protesten, mit ihren Klimastreiks etwas verändern?
Wirklich etwas ändern würde sich nur, wenn Greta Thunberg und andere es schaffen, in die Parlamente zu kommen. Und Entscheidungen treffen. Ein bisschen etwas bewegt sich zwar schon. Aber die Probleme, die da auf uns zukommen – ich sage jetzt nicht ‚Schäden‘, sondern ‚Probleme‘ –, sind nicht in Jahrzehnten zurücknehmbar. Das braucht Jahrhunderte. …

Der komplette Bergspaziergang von Markus Wanzeck (Text) und Alexander Alber (Fotos) ist erschienen in natur 11/19.