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Zwei Brüder, zwei Bauern

erschienen in Süddeutsche Zeitung, 13. Februar 2019

Magnus und Fridtjof Hansen sind auf einem Hof in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen. Heute ist der eine konventioneller Landwirt, der andere setzt sich für Naturschutz ein. Sie streiten viel, aber sie sind nicht zerstritten

Die Erde, die er zwischen den Händen hält, ist feucht und dunkelbraun, sie riecht nach Lehm. „Alles voll mit Regenwurmkacke“, sagt Magnus Hansen. „Ich liebe das, wenn der Boden so durchwurzelt ist.“ Im August hat er Erbsen und andere Zwischenfrüchte gesät, eine Art Pflegeprogramm, mit dem der Boden fit gemacht wird für eine neue Runde. Magnus Hansen ist 28, er führt den Hof bei Grimmen, Vorpommern, seit diesem Jahr zusammen mit seinem Vater. Jetzt zeigt er seinen schönsten Acker. Man merkt, er ist stolz. Im Frühjahr, sagt er, will er den Acker spritzen. Dafür braucht er nicht viel, nur ein paar Gramm Glyphosat. „Darf man ja gar nicht mehr erzählen“, sagt Magnus, „aber ich steh dazu.“ Schließlich sollen im Frühjahr hier Rüben wachsen. Nur die. Und deshalb muss das andere weg. Für Magnus Hansen ist Spritzen das beste Verfahren, er erklärt das so: „Das ist bodenschonend und vermindert Stickstoffauswaschungen ins Grundwasser, außerdem kann ich so später Pflanzenschutzmittel in den Rüben einsparen.“

Sein Bruder Fridtjof ist zwei Jahre jünger und sieht das, wie vieles, anders. Er würde den Acker vielleicht umgrubbern, damit leben, dass da auch etwas anderes als Rüben wächst. Fridtjof studiert in Göttingen Nachhaltige Internationale Landwirtschaft. Am Morgen ist er nach Greifswald getrampt, von dort hat ihn seine Mutter mitgenommen, zurück auf den Hof, der lange sein Zuhause war und irgendwie auch immer noch ist. „Ich bin dort die Nervensäge, die alles kritisiert“, sagt er. „Aber wenn ich mit Freunden diskutiere, argumentiere ich oft wie mein Bruder.“

Zu zweit sitzen sie im Wohnzimmer der Eltern. Im Ofen bollert das Feuer und die beiden diskutieren für diese Geschichte die vielleicht wichtigste Zukunftsfrage: Wie ernähren wir die wachsende Menschheit, ohne damit den Planeten zu zerstören? 2050 werden zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben, gleichzeitig schrumpfen die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen wegen des Klimawandels und der Versiegelung der Flächen.

Magnus hat seine landwirtschaftliche Ausbildung auf ökologischen und konventionellen Betrieben absolviert, Agrarwissenschaften studiert, auf einer gigantischen Getreidefarm in Australien gearbeitet. Fridtjof reiste ein Jahr lang ohne Geld durch Südamerika, verdiente sich Kost und Logis auf kleinen Höfen, wo er Lamas fütterte, und paddelte tagelang alleine auf dem Amazonas. Der eine glaubt an Selbstregulierung des freien Marktes, der andere wünscht sich mehr staatliche Lenkung zugunsten der Natur. Fridtjof will radikale Veränderungen, Magnus findet, das „Radikalste ist doch heute Maß und Mitte“.
Die Bundesregierung will, dass bis zur nächsten Wahl 20 Prozent der Landwirte auf ökologische Landwirtschaft umgestellt haben, dafür gibt es so hohe finanzielle Anreize wie noch nie. Und einen immer größeren Druck aus dem Umfeld. Magnus wird von Fremden wie Nachbarn beschimpft, wenn er zum Düngen oder Spritzen unterwegs ist. Er hat überlegt, auf Öko umzustellen, Fridtjof hätte das gefreut. „Mittlerweile bin ich einerseits trotzig“, sagt Magnus, „andererseits finde ich Supermarkt-Bio Quatsch“, sagt er. „Das was man als ,Bio’ im Supermarkt kauft, kommt auch aus der Agrarindustrie, ist nicht von den kleinen Öko-Bauern nebenan, die wegen der Bio-Massenwaren im Supermarkt oft genug pleite gehen. Und was ist, wenn alle morgen umgestellt haben? Gibt es dann eine Bio-Schwemme? Und wer kauft mir dann mein Zeug ab?“

Magnus sagt, dass der Hof die letzten beiden Jahre ein Minus gemacht habe, in diesem Jahr hofft er, die Löcher stopfen zu können. Würde er jetzt umstellen, müsste er sich eine neue Vertriebsstruktur suchen, den Hof ganz neu aufstellen, das alles kostet Zeit und Geld. Er müsste auf Subventionen bauen, sich darauf verlassen, dass die politische Richtung konstant bleibt. „Ich baue lieber auf einen freieren Markt. Es ist ja nicht so, dass die Regale mit den Bioprodukten als erstes leer sind.“ Wäre das so, dann könne man über das Umstellen reden. „Ich sehe mich als das ausführende Organ. Wir produzieren das, was die Leute kaufen wollen. Darum macht es mich auch so wütend, dass alle mit dem Finger auf uns Bauern zeigen.“ Ihn ärgere das Schwarz-Weiß-Bild: „Gute“ Biobetriebe auf der einen, „schlechte“ konventionelle Betriebe auf der anderen Seite. „Wir machen erschwingliche, gesunde Lebensmittel. Dafür braucht es ein bisschen Dünger und auch mal Pflanzenschutzmittel. Aber nie mehr als nötig. Wenn man so will, ist das der Kollateralschaden dafür, dass man Essen für alle haben will. In Deutschland, aber auch weltweit.“

500 Hektar hat der Hof der Hansens. In Fruchtfolge bauen sie seit 1992 Weizen, Raps, Gerste, Roggen, Mais, Rüben und hin und wieder Ackerbohnen an. Jeden Morgen checkt Magnus die Weltmarktpreise. Ist der Preis gut, verkauft er das Getreide an Händler, die es weiterverkaufen, bis nach Nordafrika. Mais, Rüben und Ackerbohnen werden regional verarbeitet.
Schon als Kind saß Magnus am liebsten bei seinem Vater im Trecker, lief in Gummistiefeln hinter ihm über das Feld und schaute zu, wie die Weizenkörner durch die Rohre in die Silos rieselten. Auch Fridtjof kennt das, noch heute hilft er bei der Ernte und Aussaat mit. Aber seine intensivsten Erinnerungen sind andere: Das Pferd auf dem er ritt, die Indianerspiele auf den Flusswiesen, Kaulquappen, die Vögel in den Hecken.

Die beiden Brüder, am selben Punkt gestartet, haben früh verschiedene Wege genommen, andere Erfahrungen gemacht. Sie beschäftigen sich mit dem gleichen Thema, aber aus einer anderen Perspektive. Für Fridtjof ist das eine fruchtbare Beziehung, die ermöglicht, Ideen auf Machbarkeit zu überprüfen. Magnus holt sich Inspiration aus der Auseinandersetzung mit seinem Bruder. Sie sind sich in vielem einig: Dass die Landwirtschaft Verantwortung für die Gesellschaft trägt, auch über die Produktion von Nahrung hinaus. Dass starke regionale Vertriebsstrukturen nötig seien. Dass Landwirte stärker finanziell unterstützt werden sollten, wenn sie Flächen der Natur zurückgeben.

Aber es steckt auch Sprengkraft in ihrer Debatte. Die Gräben zwischen Naturschützern und Landwirten sind in einigen Bereichen sehr tief und auch im Wohnzimmer der Hansens führt da zuweilen keine Brücke drüber.

Fridtjof zitiert die sogenannte Krefeldstudie, laut der die Menge der Insekten seit 1989 um 75 Prozent zurückgegangen ist. Die Ursachen: vermutlich Pestizide und der Verlust von Lebensräumen. Magnus, „egal wo ich bin, als Landwirt bin ich automatisch im Verteidigungsmodus“, fühlt sich angegriffen. Fridtjof schlägt jetzt wirklich vor, den Acker nur zu grubbern, nicht zu spritzen. „Wenn du glaubst, die Konsequenzen abschätzen zu können, und mich entschädigst – bitte, versuchen wir es!“, erwidert Magnus.

Zwar merkt auch Magnus, dass er, wenn er mit anderen Bauern spricht, oft die Argumente von Fridtjof aufgreift. Aber jetzt sitzt nun mal sein Bruder, kein Kollege vor ihm. Deshalb wird die Diskussion schnell heftig. „Jeder Lkw-Fahrer verdient zur Zeit mehr als ich. Und ich produziere immerhin euer Essen“, hält Magnus seinem Bruder vor und fragt ihn: „Und was tust du? Du fliegst nicht und du läufst barfuß, na toll“.

Magnus schlägt Fridtjof vor, einen eigenen kleinen Ökohof, eine „Solidarische Landwirtschaft“ aufzubauen. „Ich geb dir das Land dafür!“ Fridtjof sagt, vielleicht in zwanzig Jahren. Erst mal will er studieren, sich mehr Wissen und Erfahrungen aneignen, um später vielleicht zwischen Landwirten und Politikern zu vermitteln. Gerade hat er dafür zusätzlich eine Mediationsausbildung gemacht. Magnus sagt, Fridtjof fände mehr Gehör bei den Landwirten, wenn er seine eigenen Ideen auch umsetzen, nicht nur reden würde. „Machen ist wie wollen, nur krasser.“

Die beiden streiten viel, aber sie sind nicht zerstritten. In der Halle steht Magnus’ Trecker neben dem Bauwagen, den Fridtjof sich gerade ausbaut. Man kann von ihnen lernen: Immer wieder den Ball aufnehmen und miteinander reden. Stoisch aushalten, dass der Andere anderer Meinung ist. Wichtiger als „Recht behalten“ ist ihnen am Ende: „Bruder bleiben“.
Und weil das so ist, gibt es dann doch ein stabiles Brett über dem Graben. Denn fast genau so stolz wie auf seinen schönsten Acker ist Magnus Hansen auf ein 16 Hektar großes Feld, auf dem Wild- und Kulturpflanzen wachsen. „Ich habe mich entschieden, ein paar von meinen Flächen abzugeben, an die Natur.“ Dazu gehören nicht nur Blühstreifen entlang der Felder, wie sie die EU vorschreibt, sondern eben auch dieses große Stück Bienenweide. „Das ist schon viel“, sagt Fridtjof, „auch wenn ich mir natürlich mehr wünschen würde.“ Jetzt stehen nur ein paar vertrocknete Sonnenblumen im kalten Wind. Aber im Sommer ist hier wieder großes Summen und Brummen. Und Magnus steht gerne davor und hört zu.