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Die Kinderbraut

SCHICKSALE. Kinderhochzeiten und Zwangsehen gehören zu den dramatischsten Folgen des Syrien-Konflikts. Mit dem Krieg endete für viele syrische Mädchen die Kindheit. Eine stille Tragödie, aufgezeichnet in den Flüchtlingslagern in Jordanien.

Wären Tränen aus Gold, gäbe es Möbel in dieser Wohnung. Vielleicht sogar einen Kühlschrank, der funktioniert, Spielzeug für die Kinder, Wände, die nicht von Schimmel zerfressen sind. Dann müsste niemand auf dünnen, schäbigen Matratzen schlafen, in die schon zu viele Flüchtlinge ihr Leid geweint haben. Dann gäbe es Hoffnung. Doch auf ein Wunder wie im Märchen wartet die syrische Flüchtlingsfamilie Abd-Almajeed in Zarqa, einer Indus triestadt nordöstlich der jordanischen Hauptstadt Amman, vergeblich. Die Tränen der Tochter erzählen von einem gestohlenen Leben, genommen von einem Krieg, der in einer kalten Jännernacht plötzlich vor ihrer Haustür explodierte. Der sie im Regen zur Flucht trieb, nur mit dem, was sie am Leib trug, immer weiter weg von ihrer Heimat, bis sie, ihre Eltern und die sieben Geschwister in einem Land ankamen, das ihnen fremd ist, in dem sie nicht arbeiten dürfen, wo sie auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Auf Lebensmittelmarken, die nicht zum Leben reichen, auf Vermieter, die mit der Not der Flüchtlinge Geschäfte machen. Das Mädchen vertraute auf den Schutz ihrer Familie. Vergebens.

„Für das Wohl meiner Familie habe ich einen fremden Mann geheiratet.“
– ABEER ABD-ALMAJEED

Die Tränen der Mutter erzählen von einer Entscheidung, die nicht mehr zurückgenommen werden kann, so sehr die Mutter es sich auch wünscht. Von einer Hochzeit, die der Familie helfen sollte, allen voran der Tochter. Sie sollte ein besseres Leben haben, die Chance auf einen Neuanfang. Dass sie noch ein Kind war – was zählt das schon in Zeiten des Krieges? Der Vater schwer krank und taubstumm, die gesamte Last liegt auf der Mutter, die morgens, wenn es noch dunkel ist, das Haus verlässt und illegal in einem kleinen Laden arbeitet. Das Geld reicht trotzdem nicht, reichte nie, seitdem sie ihr Haus und ihre Heimat verlassen mussten. Die Eltern wollten Sicherheit für ihre Tochter, die Lehrerin werden wollte. Eine glückliche Zukunft. Doch die fand sie nicht.

VERSPRECHEN.

Abeer ist 17 Jahre alt, an ihren Wangen haftet der letzte Babyspeck, ihre Lippen sind wund, als hätte sich das Leid in sie hineingefressen. Ihre Hochzeit vor eineinhalb Jahren war nur eine kurze Zeremonie im Wohnzimmer. Eine o& zielle Heiratsurkunde gibt es nicht. Den Mann, vierzehn Jahre älter als sie, von einer Tante wärmstens empfohlen, hatte sie noch nie zuvor gesehen. Er brachte kein Geld mit, aber dafür Versprechen, die Aussicht auf ein gutes Leben. Sie ging mit ihm, durfte ihre Familie fortan nicht mehr besuchen, zog in das Haus der Schwiegermutter. „Sie war keine gute Frau“, flüstert Abeer. Auf ihrem Schoß sitzt ihr Sohn, neun Monate alt. Der Vater des Jungen wollte das Kind nicht, drängte sie zur Abtreibung, doch die junge Syrerin behielt das Baby. Die Ehe hielt vier Monate, dann setzte er Abeer wieder vor der Tür der Eltern ab. Verließ sie einfach, während ein neues Leben in ihrem Bauch wuchs.

Ihr Vater Abu-Hamed fährt mit den Fingerspitzen über seine Wangen hinab, senkt den Kopf und zieht die Mundwinkel nach unten, dann zeigt er auf seine Tochter. Jede Nacht weint sich Abeer in den Schlaf.

„Die Frauen bleiben ohne Rechte zurück, entehrt und stigmatisiert.“
DANIELLE SPENCER, CARE

Abeers Schicksal ist kein Einzelfall. Nach Monaten und Jahren im Exil verarmen die syrischen Flüchtlingsfamilien zunehmend, ihre Ersparnisse sind aufgebraucht. Die Eltern fürchten um die Sicherheit und Zukunft ihrer Töchter und stimmen mit brüchiger Stimme. Der syrische Präsident Al-Assad, er ließ Bomben auf sie regnen, nahm ihnen die Häuser, die Heimat, tötete ihre Liebsten. Vor zwei Jahren floh die Familie, erst nach Damaskus, dann weiter nach Jordanien. Nur der jüngste Sohn, gerade mal 19 Jahre alt, blieb als Kämpfer der Freien Syrischen Armee zurück. Die Mutter mietete für sich und ihre zwei Töchter eine kleine Wohnung an. Spenden von Verwandten und entfernten Bekannten sicherten ihr Überleben. Eines Tages klopfte eine Nachbarin an der Tür, im Schlepptau ein jordanischer Teppichhändler auf der Suche nach einer Frau. „Ich war glücklich“, erinnert sich die Mutter, „endlich gab es jemanden, der für eine meiner Töchter sorgen würde.“ Er hielt um die Hand der Jüngsten an, Samira, damals gerade 16 Jahre alt. „Wir hatten keine Papiere, also gingen wir zur Meldestelle und machten Samira zwei Jahre älter, damit es bei der Hochzeit keine Probleme geben würde.“ Wieder stehen der Mutter Tränen in den Augen: „Ich wollte doch nur das Beste für mein Kind.“ Samira, die ihr kindliches Gesicht wie viele junge Frauen hinter einer Hochzeiten zu, die überhastet und aus der Not heraus geschlossen werden. Die Zahl der Kinderehen steigt unter den syrischen Flüchtlingen rapide an, im ersten Quartal 2014 heiratete bereits jedes dritte Mädchen im Kinder- und Jugendalter, Tendenz weiter steigend. Und das sind nur die o& ziellen Zahlen, viele Ehen werden ohne Eintrag beim Gericht vollzogen. Nicht selten verlässt der Mann seine Frau nach ein paar Monaten wieder. „Die Frau bleibt dann ohne Rechte zurück, entehrt und stigmatisiert“, sagt Danielle Spencer von der Hilfsorganisation Care, „vielleicht sogar mit unehelichen Kindern, die das Stigma ihr Leben lang tragen müssen.“

UNTER DRUCK.

Angst, Armut und Unsicherheit lassen die Eltern zu Richtern über das Schicksal ihrer Töchter werden. „Viele Familien üben Druck auf die Mädchen aus, oft aus finanziellen Gründen, aber auch weil sie ihre Frauen beschützen wollen. Sie haben den Krieg erlebt, die Flucht ten Tag im Camp kennenlernte. „Sie war eine gute Schülerin. Doch plötzlich kam sie nicht mehr zum Unterricht.“ Abir hatte geheiratet, mit gerade mal 15 Jahren. „Sie hatte so viel Potenzial“, sagt Muzoon, „doch die Schule besuchte sie nie wieder.“ Seitdem setzt sich das syrische Mädchen gegen Kinderheiraten ein, geht durch das Camp, spricht mit den Familien und warnt sie vor den Folgen einer fehlenden Schulbildung. „Ich sage ihnen, dass ihre Bildung eine Wa$ e ist, ihre Zukunft.“

Kinderhochzeiten sind in Syrien vor allem im ländlichen Raum keine Seltenheit. „Aber was vor Jahrhunderten gut und sinnvoll war, muss es heutzutage nicht mehr sein“, sagt Rakan Al-Mleihan, Muzoons Vater. Der Grundschullehrer sorgt sich um die Generation seiner Tochter: „Was passiert, wenn der Mann nicht gut ist zu seiner jungen Frau, sich scheiden lässt, wenn er sie und die Kinder verlässt, wer kümmert sich dann?“ Ohne einen Schulabschluss gebe es keine qualifi zierte Arbeit, keine sichere Zukunft. SWEILEH. Die Tränen der syrischen Familien ziehen eine Spur durch das Land. Wer ihnen folgt, gelangt nach Sweileh, einem nördlichen Stadtteil Ammans. Hier wohnt das Leid, Tür an Tür: syrische Familien, die ihre Tage in den Wohnungen verbringen, weil sie nicht arbeiten dürfen, sich nichts kaufen können. Um Samit sitzt mit ihren Töchtern Lamia, 25, und Samira*, 18, auf dünnen Matratzen. „Ich fühle mich, als würde ich auseinandergerissen“, schluchzt die Mutter und wischt sich mit ihren Händen, die von vielen Jahren Fabrikarbeit gezeichnet sind, die Tränen weg. „Ho$ entlich bestraft Gott dich für alles, Baschar“, ruft sie und vielleicht auch sexuelle Gewalt gegen Frauen.“ Rund 48 Prozent der Ehemänner sind mindestens zehn Jahre älter als die Mädchen. Oft sind die kindlichen Körper noch nicht bereit für eine Schwangerschaft. Das Risiko, bei der Geburt zu sterben, ist fünfmal so hoch wie für Frauen über 20 Jahren. Und trotzdem: Wer als potenzieller Ehemann das Brautgeld zahlen kann, hat gute Chancen auf dem Heiratsmarkt.

„Mädchen in meinem Alter sollten Schuluniformen tragen, keine Hochzeitskleider.“
– MUZOON AL-MLEIHAN

„Mädchen in meinem Alter sollten Schuluniformen tragen, keine Hochzeitskleider“, sagt Muzoon Al-Mleihan, 16, die mit ihren Eltern und ihren drei jüngeren Geschwistern in einem Wellblech-Container in einem grenznahen Flüchtlingscamp lebt, auf engstem Raum mit 15.000 anderen syrischen Flüchtlingen. Das Mädchen sitzt auf einer Matratze, Schulbücher, die sie auf der Flucht mitnahm, liegen auf ihrem Schoß. Sie erzählt von einer Freundin, Abir, die sie an ihrem ersdicken Make-up-Schicht versteckt, sitzt, die Beine fest an den Körper gepresst, neben ihrer Schwester. „Ich dachte, ich müsste der Hochzeit zustimmen“, sagt sie, „wegen der ganzen Situation.“ Hilfl os lässt sie ihren Blick durch das leere Zimmer gleiten. Ein alter Schrank ist das einzige Möbelstück. „Er war nächtelang verschwunden, zahlte die Miete nicht, ließ mich alleine“, fl üstert sie. Es stellte sich heraus, dass er gleich mehrere Frauen geheiratet und dann verlassen hatte. Von Samira ließ er sich nach wenigen Monaten scheiden. „Meine Tochter hat sich wochenlang in den Schlaf geweint“, sagt die Mutter. Nun hat ein Bekannter einen neuen Heiratskandidaten angeschleppt, einen jordanischen Regierungsbeamten Ende 30, mit eigener Farm. Er sucht eine syrische Frau, weil sie als schön und fügsam gelten. Samira schüttelt den Kopf, nein, sie wolle auf keinen Fall heiraten. Nicht noch mal. Sie greift nach der Hand ihrer Schwester. „Beide Mädchen wollen nicht“, sagt die Mutter, „und ich kann sie nicht zwingen, obwohl ich einverstanden wäre. Aber bei meinem Glück wird sich auch diese Tür wieder schließen.“

(Dieser Beitrag erschien zuerst in WIENERIN am 01. Februar 2016).