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Die Wasserwacht von Westbengalen

Mehr als eine halbe Milliarde Inder trinkt Grundwasser, das mit Arsen verseucht sein könnte. Nun hat eine indische Hilfsorganisation ein Pilotprojekt gestartet.

Versonnen blickt Manatosh Bisulas über den kleinen See. „Als Kind trank ich Wasser aus Seen, dann wegen der Cholera-Erreger nicht  mehr“,  sagt  der  55-jährige Landarbeiter aus dem Dorf Tegharia, gut 50 Kilometer nördlich von Kalkutta. Sein volles Haar geht an der Stirn von Schwarz zu  Weiß  über.  „Nun  trinke  ich  wieder Wasser aus dem See. Es schmeckt gut!“ Am anderen Ende des Sees trifft sein Blick auf ein Gebäude aus geriffeltem Blech. In ihm steht der Grund, aus dem Bisulas nun wieder Wasser aus dem See trinken kann: ein Wasserfilter, installiert von der Nicht-Regierungs-Organisation Sulabh.

400 Familien aus der Umgebung werden dank der Filteranlage mit sauberem Trinkwasser  versorgt.  Vorher  haben  sie Grundwasser getrunken, das in Westbengalen oft mit Arsen verseucht ist. Das Gift wird aus dem Himalaya ausgespült und vom Ganges in die Dörfer und Städte an seinen Ufern geschwemmt. Welche Folgen das Trinken von Arsen verseuchtem Wasser hat, musste Bisulas am eigenen Leib erfahren. „Das Arsen hat mir meine Stärke  genommen“,  sagt  Bisulas,  während sich seine Rippen unter seiner faltigen Haut abzeichnen. An seinem Oberarm und an seinen Fingern zeigen sich schwarze Flecken. Sie sind eine Vorstufe von Hautkrebs und können sich zu Melanomen entwickeln. Außerdem leidet er unter Kurzatmigkeit.„Es ist frustrierend, dass  uns  niemand  vor  dem Wasser  gewarnt hat“, klagt Bisulas.

Der Mann, der die Bevölkerung warnen wollte, sitzt in einem Büro an der Jadavpur University von Kalkutta. Dipankar Chakrabarti  redet  sich  schnell  in  Rage, wenn  er  auf  das  Thema  „Arsen verseuchtes Trinkwasser“ zu sprechen  kommt.  „Die  indische Regierung hat so lange versucht, mich mundtot zu machen“, sagt Chakrabarti.  Der  Dermatologie- Professor K.C. Saha hatte schon 1982 bei Patienten aus Westbengalen  eine  Arsenvergiftung  diagnostiziert.  1988 stieg  Chakrabarti  ebenfalls  in  die  Forschung ein, sammelte Proben und untersuchte Dorfbewohner entlang des Ganges und des Brahmaputra.

Wenn  Chakrabarti  im kühlen Halbdunkel  seines  Büros  seine Präsentation  zeigt,  kriechen  die Markierungen von Arsenfunden wie zwei rote Würmer die Flusstäler von Ganges und  Brahmaputra  hinab.  Seinen  Schätzungen nach trinken mehr als eine halbe Milliarde Menschen Wasser, das mit Arsen verseucht sein könnte. „Es ist eine Arme-Leute-Krankheit“,  sagt  Chakrabarti. „Bis 1994 hat die Regierung das Arsen-Problem abgestritten. Dann habe ich einen internationalen Kongress dazu organisiert.“  Anschließend  sei  das  Problem bekannt gewesen, aber nicht dessen Ausmaße.

Dennoch hat es Versuche gegeben, mit Wasserfiltern den Menschen in Westbangalen sauberes  Trinkwasser  zur  Verfügung zu stellen. Doch die Maschinen kamen aus Europa oder den USA, ihre Wartung und Reinigung war  kompliziert. „Dorfbewohner  konnten  das  nicht  leisten“, sagt Chakrabarti. Diese Problem hat auch Sulabh erkannt. „Es ist wichtig, die Dorfbewohner mit einzubeziehen“, sagt Bindeshwar Pathak, Gründer der Nicht-Regierungsorganisation (NGO).

Pathak  hat  1968  im Rahmen  seiner Doktorarbeit in Soziologie mit Unberührbaren zusammengelebt, den Ausgestoßenen der indischen Gesellschaft. Ihre einzige Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, war das Leeren voller Sickergruben.   Sie krochen hinein und schaufelten mit bloßen Händen die Fäkalien in geflochtene Körbe. Um das Schicksal  der  Unberührbaren zu  verbessern, gründete  Pathak 1970 Sulabh.  Inzwischen hat die Organisation 50.000 Helfer, installiert in ganz Indien Toiletten, die ohne die unwürdige Arbeit der Unberührbaren  auskommen,  und  bildet  ihre Kinder  aus,  damit  sie  ihren  Lebensunterhalt auf bessere Weise verdienen.

Ein Auskommen sollen auch die  Menschen  haben,  in  deren Dörfern  nun  Wasserfilter  installiert werden. 20 Arbeiter werden beim Bau der Anlage gebraucht. Und drei bis vier Dorfbewohner werden ausgebildet, um den Wasserfilter zu bedienen und instand zu  halten.  Verteilen  will  Sulabh auch die Einnahmen aus der Wasserfilteranlage.  20Liter  sauberes  Wasser  bekommt eine Familie pro Tag fürs Trinken und Kochen. Vier Dörfer sind in das Projekt eingebunden, 400 Familien bezahlen kleine Beträge für ihr Wasser. So kommen pro Tag umgerechnet etwa 55 Euro zusammen. Die Einnahmen teilen sich Sulabh  und  die  lokale  NGO.  Sulabh  bekommt nach und nach die Baukosten zurück, die lokale NGO bekommt Geld für die Gehälter der Angestellten und die Instandhaltung der Anlage.

Wie  viel  noch  zu  tun  ist,  zeigt  sich schon den Nachbardörfern von Madhusudankati. In einem Dorf stehen vier Frauen in bunten Saris auf einem Dorfplatz zusammen. Eine bewegt den Hebel der Wasserpumpe auf und ab, während eine Zwei-te eine Pet-Flasche unter die Pumpe hält. Sie holen für ihre Familien Trinkwasser – und fördern dafür Grundwasser, das womöglich Arsen enthält. Schätzungsweise 640 000 Dörfer sind in Indien und Bangladesch vom Arsen-Problem betroffen. Da ist eine Filteranlage für vier Dörfer ein Molekül auf dem heißen Stein.

Zumal auch das Sulabh-Pilotprojekt auf Bedenken stößt. In zwei Teichen wird Regenwasser gesammelt, aus dem die Filteranlage dann arsenfreies Trinkwasser macht. Genau diese Teiche wecken bei Professor  Chakrabarti  Zweifel:  „Das  arsenhaltige Grundwasser, das auf die Felder gepumpt wird, kann auch in die Teiche  sickern“,  sagt  Chakrabarti.  Er  bezweifelt, dass das Teichwasser laufend getestet wird. In den ersten Monaten hat Sulabh das  Wasser  untersucht.  Laut  der NGO wurde kein Arsen gefunden. Und den Dorfbewohnern gehe es bereits besser.   Auch Landarbeiter   Bisulas hofft: „Vielleicht gewinne ich ja meine alte Stärke  zurück.“  Gesundheitsschäden  durch Arsen sind jedoch irreparabel.

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